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Aufmerksame Beobachter der Fußball-WM 2014 in Brasilien konnten bereits einen kleinen Eindruck vom tatsächlichen Leben in Süd- und Mittelamerika erhaschen. Wer nun diese vertiefen möchte, sollte sich das Taschenbuch „Verdammter Süden. Das andere Amerika” der Herausgeber Carmen Pinilla und Frank Wegner zulegen. Die preisgekrönten Reportagen aus diesem Teil der Erde widmen sich Themen, die bis dato eher vernachlässigt wurden.
Verdammter Süden – Das andere Amerika aus dem Suhrkamp Verlag
Es gibt zahlreiche Romane und Erzählungen von diesem Kontinent – doch keines bietet diese Form der literarischen Reportagen, die „crónicas”. Im Buch nutzen verschiedene Autoren diese Stilform, um ihre Heimat zu erläutern und das abgehandelte Themenspektrum ist breit gefächert:
Sechs Monate lang versucht Andrés Felipe Solano in Medellín in Kolumbien als Fabrikarbeiter von dem dortigen Mindestlohn zu leben. So sieht Andrés ein Schulmädchen an der Bushaltestelle hungrig an, welches gerade Churros (frittiertes Gebäck) isst. Denn er kann sich so etwas nicht leisten – wie viele andere Kolumbianer auch, muss er mit 484.500 Pesos im Monat zurechtkommen, dem Mindestlohn. Zum Glück alles nur auf Probe, um die Reportage zu schreiben.
Essays, Reportagen und sprachliche Vielfalt
Texte wie diese haben die Herausgeber Carmen Pinilla und Frank Wegner in den “crónicas” zusammengetragen. 16 weitere literarische Reportagen behandeln andere interessante Themen. So reist beispielsweise Juan Pablo Meneses ins berühmte brasilianische Cândido Godói – ins Land der Zwillinge. Und in der Millionenstadt Ciudad Juárez (Mexiko) spürt Fabrizio Mejía Madrid die allgegenwärtige Angst, die die Stadt seit vielen Jahren prägt. Hier sind Gewalt und Tod an der Tagesordnung. Seine Reportage ist ein Erfahrungsprotokoll aus der Stadt des Todes.
Weitere Geschichten berichten über das bolivianische Frauenwrestling, das die Autorin Alma Guillermoprieto besuchte oder über einen merkwürdigen Totenwachekomiker, den Salcedo Ramos begleitete. Themen wie Armut und Gewalt dominieren, doch die cronistas sind auch um neue und andere Perspektiven bemüht.
Sehr berührend ist auch der Text von Leila Guerrieros: sie berichtet über eine Gruppe argentinischer Anthropologen, die aus einem studentischen Freundeskreis in den 80-er Jahren zurückgeht. Aus einer Zeit, in der es die forensische Anthropologie noch nicht gab, allerdings Verschundene oder von der Junta zurückgelassene Massengräber nach Aufklärung verlangten.
Neben so viel Schatten gibt es aber natürlich auch viel Licht in Lateinamerika. Juan Pablo Menese beschäftigt sich im Artikel „Amazon Boys“, mit in der Tourismusbranche beschäftigten Indios, die beruflich als Liebhaber arbeiten und gerne in den goldenen Norden fliehen möchten. Von höllenhaften Ungeheuern berichtet der Nordkolumbianer José Alejandro Castaños, der als Flussfischer arbeitet. Erst zum Schluss stellt sich heraus, dass es sich hierbei um einen Ausbruch von zwei Nilpferden aus der unbewirtschafteten Hazienda des ehemaligen Drogenbarons Pablo Escobar handelt.
Fazit
Es sind Geschichten aus dem realen Leben, die in den cronistas wiedergegeben werden. Und es sind bewegende, seltsame, abgründige und manchmal auch komische Geschichten.
Reiseführer Südamerika
Letzte Aktualisierung am 12.10.2024 / Affiliate Links / Bilder von der Amazon Product Advertising API